Stellungnahme zum Bericht der Fachstelle Integras «Familienplatzierungs-Organisationen in der Schweiz»

Ein Bericht zuhanden der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren

Ausgangslage

Der Bericht zur Situation der Familienplatzierungsorganisationen (FPO) in der Schweiz von der Fachstelle Integras setzt sich mit der Datenlage, der Regelung, der Organisation und der Koordination der Platzierungen von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien in der Schweiz auseinander.

Hierbei stützt sich der Bericht einerseits auf bisherige empirische Untersuchungen zum Gegenstand und andererseits auf eine von Integras durchgeführte Befragung bei den bekannten FPOs. Hieraus resultiert die zentrale Erkenntnis, dass die aktuelle Datenlage in der Schweiz dürftig ist – auch die eigens durchgeführte Befragung erbrachte mit 33 Prozent einen wenig zufriedenstellenden Rücklauf.

Ausgehend von dieser Datenlage setzen sich die beiden Autorinnen und der Autor mit Gründen des  geringen Rücklaufs, der Qualität der angebotenen Dienstleistungen und der Koordination der Dienstleistungen auseinander und leiten Konsequenzen ab. Hierbei lassen sie sich mit Einzelfallbezügen zu einer Argumentation verleiten, die zwischen gesicherten Informationen und Vermutungen zu wenig differenziert.

Zentrale Probleme der Argumentation zeigen sich in folgenden Punkten

  • Obwohl die zur Verfügung stehenden Daten zum Tätigkeitsbereich der FPOs lückenhaft sind, werden unzulässige Rückschlüsse auf die Qualität der erbrachten Dienstleistungen getroffen.
  • Bei den diskutierten Daten wurde nur ein Teil der relevanten Studien beigegezogen. Nicht berücksichtigt werden insbesondere die Berichte von Gassmann, Schäfer und Zatti (Quellennachweis am Schluss des Beitrags).
  • Der geringe Rücklauf kann nicht als mangelnde Bereitschaft der FPOs gedeutet werden, die Qualität der erbrachten Leistungen sicherzustellen und entsprechende Kennzahlen offen zu legen.
  • Auf der Basis von einzelnen Fallbeispielen und Zukunftseinschätzungen von Einzelpersonen lassen sich keine Rückschlüsse auf die allgemeine Problemlage ziehen.
  • Die vorgeschlagene Massnahme, das Pflegekinderwesen „durch Kantone oder eine Kooperation mit ortsansässigen FPO aktiv zu bewirtschaften“, zielt an der dargestellten Problemlage vorbei. Im Vordergrund stehen, dass im Interesse der Kinder und Jugendlichen Qualitätsstandards entwickelt und gesichert werden und die Frage der Überprüfung und Koordination geklärt wird. Gerade bei der Frage der Koordination wären Daten und Informationen über den tatsächlichen Vermittlungsbedarf und die aktuelle Praxis erforderlich, um nachhaltige Massnahmen ableiten zu können.

Fazit

Trotz Schwächen in der Argumentation gelingt es den Autorinnen und dem Autor, im Bericht folgende wegweisenden Erkenntnisse herauszuarbeiten:

  • Die Datenlage zu den Leistungen der FPOs im Pflegekinderwesen ist mangelhaft.
  • Es braucht einen koordinierten fachlichen Austausch über Qualitätsstandards.
  • Die Frage der Zuständigkeit zur Überprüfung und Sicherstellung des Pflegekinderwesens in der Schweiz ist zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht geregelt.

Durch die PAVO-Revision konnte der letzte Punkt geklärt werden: für Überprüfung und Sicherstellung des Pflegekinderwesens sind die Kantone zuständig. Die weiteren im Bericht erwähnten Erkenntnisse müssen aufgrund der oben dargestellten ungenauen Argumentation als spekulativ bewertet werden. Insbesondere müssen die abgeleiteten Massnahmen, die sich auf zu wenig gesicherte Daten abstützen, kritisch diskutiert werden. Integras nimmt einerseits als Dachverband für Sozial- und Sonderpädagogik  im  stationären Bereich und andererseits als Fachstelle zur Qualitätssicherung in Pflegeverhältnissen eine Doppelrolle ein. Aufgrund der lückenhaften Argumentation im Bericht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Integras mit der durchgeführten Analyse und den vorgeschlagenen Massnahmen eigene Interessen verfolgt, indem sie für die Zertifizierung der FPOs eine Vormachtstellung in der Überwachung des Pflegekinderwesens anstrebt.

Das Pflegekinderwesen ist im System der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen auf derselben Ebene angesiedelt wie die Kinder- und Jugendheime. Die Leistungen der FPOs stellen, wie die Autorinnen und der Autor selbst darstellen, eine für einweisende Organisationen kostengünstige Alternative zur Praxis der Heimunterbringung dar. Heimunterbringungen und Pflegekinderplatzierungen stehen aus wirtschaftlicher Perspektive somit in einem konstitutiven Konkurrenzverhältnis. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass die mangelnde Bereitschaft der FPOs an der Untersuchung teilzunehmen, u.a. damit in Verbindung gebracht werden kann, dass die FPOs die Unabhängigkeit der Fachstelle Integras im vorliegenden Fall als zu wenig gesichert wahrnehmen.

Empfohlene Massnahmen

  • Etablierung eines fachlichen Austausches der zentral am Prozess der Fremdunterbringung beteiligten Instanzen zur prozessorientierten Entwicklung von Qualitätsstandards und für die Optimierung von Koordinationsanforderungen.
  • Es sollten Massnahmen zur Qualitätssicherung, bspw. mit Anerkennungsverfahren, getroffen werden. Anerkennungsverfahren sollten durch unabhängige Instanzen sichergestellt
  • Massnahmen sollten auf der Grundlage einer soliden Datenbasis getroffen werden. Entsprechende Untersuchungen sollten durch eine unabhängige und auf Forschung spezialisierte Organisation durchgeführt
  • In Ergänzung zu den Bestrebungen zur Optimierung der Qualitätsstandards sind Massnahmen zur Verbesserung des Images von Pflegefamilien und den involvierten Fachpersonen im Pflegekinderwesen zu ergreifen. So kann das gesellschaftliche Vertrauen in die für das Pflegekinderwesen unabdingbaren Leistungen gestärkt

Quellen

  • Bericht der Integras, April 2012
  • Gassmann, Yvonne (2000): Zwischen zusammen wachsen und auseinander Eine Studie zur Wahrnehmung und zum Erleben von Pflegebeziehungen durch Pflegeeltern. Lizenziatsarbeit an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH), Lysingur/Bottenwil.
  • Schäfer, Dirk (2011): Ressource Untersuchung der Belastungen und Ressourcen von Menschen, die Pflegekinder mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen betreuen. ZPE Schriftenreihe Nr. 30, Universität Siegen.
  • Zatti, Barbara (2005): Das Pflegekinderwesen in der Schweiz. Analyse, Qualitätsentwicklung und Professionalisierung. Expertenbericht im Auftrag des Bundesamtes für